KRIMIWANDERN IN FRANKFURT

Krimiwandern in Frankfurt

Wandern mit Lesung, mitraten und Weinverkostung: Ein Ausflug mit Angelika Angermeier ist eine vierfache Flucht aus dem Alltag.

Angelika Angermeier liest ihre Krimis nicht einfach nur vor. Das wäre ihr zu langweilig. Oder „zu wenig interaktiv“, wie sie es höflicher formuliert. So ein Krimi lebt schließlich vom Mitraten. Genau das sollen ihre Gäste tun. Außerdem trägt sie szenisch vor, mit wechselnden Stimmen, dafür hat sie eigens Schauspielunterricht genommen. Mehrere Blöcke hat so ein Ereignis. Zwischen den Szenen verkostet sie Weine, verteilt Snacks, außerdem wandert die Gruppe durch den Frankfurter Biegwald oder in den Weinbergen bei Saulheim. Schließlich nennt sich das Krimi2go, die Ziffer spricht sich englisch, also to-go, aus, Verbrecherlektüre zum Mitnehmen auf die Wanderung quasi. Wenn dann noch Zeit ist, erzählt Angermeier aus ihrem bewegten Leben.

Geboren ist sie in München, aufgewachsen am Rand von Straubing in Niederbayern. Vielleicht hat sie deshalb erst spät zum Schreiben gefunden. Rückmeldungen zu ihren ersten Versuchen in prägenden Jahren der Kindheit und Jugend sind nicht ermunternd. In der vierten Klasse schreibt sie einen zehnseitigen Aufsatz über eine rote Strumpfhose, die auf Fantasiereise geht. Der Lehrer ist entsetzt. „Das war so in Straubing“, sagt Angermeier. „Da konnte eine Strumpfhose nicht einfach zum Leben erwachen.“ Note: 5.

Ähnlich erfolgreich bestreitet sie ihre Deutschklausur im Abitur. Zum Thema saubere Energie schreibt sie lieber über Wind- und Wasserkraft als über Kernenergie. Dabei hat der Kurs im Vorfeld extra ein Atomkraftwerk besucht, quasi ein Wink mit dem Zaunpfahl. Note: Thema verfehlt. „Ich war schon immer etwas grün und rebellisch.“ Gelesen hat sie gerne, allerdings „eher Edgar Allan Poe als Hanni und Nanni“. Das Düstere, die Schatten der menschlichen Existenz, lernt sie über ihren Onkel kennen. Der ist Gefängnispsychologe und Gutachter. „Am Frühstückstisch haben wir über Morde, Verbrechen und Leichen gesprochen.“ Sie besucht ihn auch mal im Büro im Zuchthaus, schaut sich Arbeitsplätze der Inhaftierten an. Schon früh fragt sie sich: Wie kommt das? Warum wird jemand kriminell? Was muss dafür passieren?

Was es für einen Bruch im Lebenslauf geben muss, das lernt sie aus eigener Erfahrung. Nach dem Abi reicht der Notenschnitt nicht für den sofortigen Studienbeginn in der Innenarchitektur. Die Wartezeit bis zur Zulassung überbrückt sie mit Jobben: in ihrer eigenen Taverne in Griechenland, auf der Insel Nisyros bei Kos. Das Lokal liegt günstig auf dem Weg zum Vulkan. Die nicht sonderlich kontaktscheue Angermeier quatscht die Wandersleute auf dem Weg an, lockt sie ins Lokal. Zu erfolgreich macht sie das. Andere Gastronome zeigen sie an. Als Ausländerin darf sie keine eigene Taverne betreiben.

Angermeier muss Hals über Kopf das Land verlassen, landet in Italien, später dann doch noch zum Studium in Wiesbaden. Wohnen mag sie lieber in Frankfurt. Da sei es spannender, findet sie. So wie sie später als Innenarchitektin nicht nur schöne Räume entwerfen will, sondern auch Obdachlosenunterkünfte, Frauenhäuser. Um sich breiter aufzustellen, macht sie eine Weiterbildung zur Pressereferentin. Zuletzt ist sie in der Pressestelle im Frankfurter Monikahaus tätig.

Schließlich wagt sie es doch noch. Der Mainbook-Verlag ruft auf zum Wettbewerb „Bockenheim schreibt ein Buch“. Angermeier reicht eine Geschichte ein, die wird gedruckt. Aufregend findet sie das. Der Verlag unternimmt eine kleine Lesereise durch den Stadtteil Angermeier liest bem Friseur, in der Bibliothek. „Das hat mir Spaß gemacht“ - und eine Art von Schleusentor geöffnet. Die viele über Jahre angestauten Worte und Geschichten fließen nur so aus ihr heraus. Zwölf kleine Krimis schreibt sie direkt auf einen Rutsch. „Das musste raus.“

Aber was dann tun damit? Um ihre Geschichten auch anderen zu Gehör zu bringen, organisiert sie kurzerhand eine eigene Lesereise. Eine Planwagenfahrt mit Weinprobe und Krimilesung auf einem Weingut in Saulheim. Die Veranstaltung ist gleich ein Erfolg, 35 Menschen fahren mit, lauschen, raten mit, probieren Weine.

Angermeier macht eine Reihe daraus. Abwechselnd gastiert sie in Saulheim und in Frankfurt, da unternimmt sie die Wanderung durch den Biegwald, aber auch mit Weinverkostung, Snack, Krimi und Abenteuer. Um den Wein im Sommer kühlen zu können, hat sie sich sogar Solarpaneele für das Dach ihres alten Post-Caddies besorgt. Im Schnitt dauert der Krimi-to-go dreieinhalb bis vier Stunden. In lauen Sommernächten kann der gemütliche Teil auch etwas länger gehen. Gerade nach der Corona-Plage.

„Die Leute brauchen mehr Zeit für sich“, hat Angermeier festgestellt. „Die suchen das Gespräch, stellen Fragen.“ Die Autorin ist gerne behilflich. Vermittelt mediterranes Lebensgefühl und Abenteuerlust, „einfach die Menschen aus dem Alltag holen und ihnen eine Geschichte erzählen“.

Seit 2021 ist sie Teil der Gruppe Frankfurter Stadtevents. Darüber hat sie auch das alte Polizeipräsidium an der Friedrich-Ebert-Anlage für ihre Lesungen in den Wintermonaten, wenn es draußen doch zu frostig oder nass ist, aufgetan. Inzwischen bietet sie auch normale Führungen durchs Haus, ohne Krimi.

2023-03-19T15:44:27Z dg43tfdfdgfd