FINNLAND: WIE WIRD MAN ZUM GLüCKLICHSTEN LAND DER WELT?

Niemand auf der Welt ist glücklicher als die Finnen. Das ist zum sechsten Mal das Ergebnis des »World Happiness Report«. Der finnische Psychologe Frank Martela erklärt den Erfolg – und was andere davon lernen können.

Über lachende Menschen heißt es in Finnland, sie seien entweder betrunken, Ausländer oder verrückt. Der Scherz zeigt bereits, mit welch fröhlichem Unernst die Finnen auf sich selbst blicken. Und doch bestätigt er das Klischee, die Vorstellung eines Landes von Melancholikern im Schnee, die schweigsam und störrisch bis depressiv aus den Fenstern ihrer Saunen in die Welt starren.

Tatsächlich sieht die Lage des Landes doch deutlich optimistischer aus. Nicht erst, seitdem Premierministerin Sanna Marin tanzend im Wohnzimmer gefilmt wurde. Schon zum sechsten Mal in Folge ist das nordische Land in dieser Woche zum glücklichsten auf der Welt auserkoren worden.

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Der Psychologe Frank Martela hat einst mit am »World Happiness Report« gearbeitet und gilt heute als der bekannteste Erklärer der finnischen Lebenslust. Was können andere vom finnischen Lebensglück lernen?

SPIEGEL: Herr Martela, »es ist kalt, dunkel und gibt nicht einmal Parkplätze«, schrieb die »New York Times« einmal über den Alltag in Finnland. Die ganze Welt kennt die Schwermut von Bands wie »Him«. Jetzt haben Sie schon wieder den Titel als glücklichstes Land der Welt erhalten. Sind Ihre Landsleute wirklich so glücklich?

Frank Martela: Das ist doch kein Widerspruch! Das Projekt ist kein Gute-Laune-Index, sondern fragt Menschen, wie zufrieden sie ganz grundsätzlich mit ihrem Leben sind.

SPIEGEL: Wie wird das ermittelt?

Martela: Es gibt jedes Jahr eine einzige einfache Frage, die in jedem Land einer repräsentativen Zahl von Menschen gestellt wird. Sie lautet: »Bitte stellen Sie sich eine Leiter vor, deren Stufen von null bis zehn nummeriert sind. Nehmen wir an, dass die Spitze der Leiter das bestmögliche Leben für Sie darstellt und das untere Ende der Leiter das schlechtestmögliche Leben. Auf welcher Stufe der Leiter befinden Sie sich persönlich im Moment?« Finnland landet hier mit einem Wert von 7,8 auf dem Spitzenplatz, die Deutschen liegen mit 6,89 auf dem 16. Rang; Schlusslicht ist derzeit Afghanistan mit einem Wert von 1,9.

SPIEGEL: So eine simple Frage reicht aus?

Martela: Natürlich gibt es Einschränkungen. In manchen Ländern neigen die Menschen stärker zu extremen Antworten. Auch die momentane Zufriedenheit steht bei dieser Frage nicht im Mittelpunkt. Die Frage kann Aufschluss geben, wie es den Menschen in den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft geht, aber nicht, warum es ihnen gut oder schlecht geht. Dafür gibt es bessere Messwerte wie das Bruttoinlandsprodukt oder den Stand der Demokratie. Doch um die Lebenszufriedenheit zu erfassen, ist es sehr sinnvoll, dass man die Menschen direkt fragt.

SPIEGEL: Die finnische Tourismusbehörde warb in der Vergangenheit bereits offensiv mit seinem Spitzenplatz. Kann man Lebensglück lernen?

Martela: Wir sind natürlich stolz auf diesen Titel. Beim ersten Mal waren wir ganz überrascht. Aber so individuell ist Glück nicht. Wir haben es nicht allein in der Hand, wie glücklich unser Leben verläuft. Es liegt auch an der Gesellschaft. Wenn man in zwei Wochen Urlaub sein ganzes Leben verändern könnte, wäre Finnland heute voll von Urlaubern. Vielleicht sollten lieber andere Staatschefs vorbeischauen, um sich unseren Alltag einmal anzuschauen und etwas zu lernen: Dass wir einen funktionierenden Sozialstaat haben, die Rechte von Frauen und Minderheiten geschützt werden und das Bildungssystem den Anspruch hat, möglichst inklusiv zu sein.

SPIEGEL: Auffällig ist, dass auch die anderen nordischen Länder seit Jahren Spitzenreiter beim World Happiness Report sind. Sie sagen allerdings, dass es mit Hygge, Sauna und Duz-Kultur wenig zu tun hat.

Martela: Das sind alles kulturelle Faktoren. Folklore, wenn man so will. Da wird dann die dänische Gemütlichkeit oder die finnische Gelassenheit hervorgehoben. Natürlich ist das wichtig und schön. Aber in Wahrheit liegen die nordischen Länder im Glücksranking alle sehr, sehr dicht beieinander. Kulturelle Eigenheiten können also nicht die Erklärung sein. Viel entscheidender sind die Strukturen, und so ist es kein Zufall, dass diese Länder in anderen Rankings ebenfalls gut abschneiden: Demokratie, materielle Sicherheit und ein funktionierender Wohlfahrtsstaat fördern das Miteinander in einer mehr oder weniger egalitären, gleichberechtigten Gesellschaft.

SPIEGEL: Sie haben mit einem Team ausgewertet, welche wissenschaftlichen Erklärungen es bereits für die Lebenszufriedenheit vieler Menschen gibt. Was war Ihr Ergebnis?

Martela: Es sind wirklich die Institutionen, die uns umgeben. Und Vertrauen. Es geht darum, wie wir in die Gesellschaft eingebunden sind. Ein Alltag, in dem wir uns gut aufgehoben fühlen, ist wichtig. Es braucht also gar nichts Weltbewegendes, um glücklich zu sein.

SPIEGEL: Tatsächlich lässt sich Lebenszufriedenheit mit fehlender Korruption, funktionierender Müllabfuhr und kostenlosen Kitas erklären?

Martela: Sagen Sie das nicht einfach so. Es bedeutet viel. Millionen Menschen wären froh, wenn sie davon profitieren könnten. Ja, natürlich ist das alles wichtig. Es verändert den ganzen Alltag, wenn man mit solchen Problemen nicht allein gelassen wird.

SPIEGEL: Sie beschweren sich, dass das Ergebnis der Befragung oft in den vermischten Meldungen oder Lifestyle-Nachrichten auftaucht, nicht im Politikteil. Warum ist Glück für Sie ein politischer Begriff?

Martela: Wir können über negative Emotionen reden und darüber, wie wichtig es ist, genügsam zu sein oder bestimmte Dinge pragmatisch zu sehen. Das ist alles schön und gut. Aber ob wir glücklich sind, liegt nicht allein an uns. Das Glücksranking war eine Idee der Uno, ich halte es für sehr sinnvoll. Wir sollten Politikerinnen und Politiker viel stärker daran messen, wie stark sie die Lebenszufriedenheit ihres Volkes im Blick haben. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, was unser Leben zufriedener macht und was dem im Weg steht. Eine Regierung kann Sie nicht einfach so glücklich machen, das ist klar. Aber sie kann Grunde für Unglück reduzieren, uns absichern, das Miteinander fördern. Wichtiger als das außerordentliche Glück Einzelner ist es, dass möglichst wenig Menschen unglücklich sind. Das erklärt auch den Erfolg der nordeuropäischen Länder.

SPIEGEL: Seit mehr als einem Jahr eskaliert der Ukrainekrieg. Wir leben, so heißt es, in einer Zeit der multiplen Krisen. Dennoch hat sich am Glücksranking wenig geändert: 19 der bestplatzierten Länder waren schon im vergangenen Jahr in den Top 20. Selbst in der Ukraine ist die gemessene Zufriedenheit nur um 0,75 Punkte gesunken. Wie erklären Sie sich das?

Martela: Ich möchte klarstellen, dass das nicht bedeutet, dass es kein Leid gibt. Ganz im Gegenteil. Sehr viele Menschen in der Ukraine erleben schreckliches und die Folgen des Krieges werden sicherlich noch einiges verändern. Gleichzeitig sehen wir, dass gerade in dieser Krise viele Menschen füreinander einstehen. Viele haben das Bedürfnis für andere da zu sein, manche erleben in dieser existenziellen Situation sogar mehr Sinn und Zusammenhalt. Die geteilte Erfahrung macht es leichter, dennoch an eine gute Zukunft zu glauben. Trotz des Elends haben die Menschen offensichtlich die Hoffnung, dass es auch wieder anders wird. Das zeigt gut, wie wichtig Gemeinschaft für uns ist.

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